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Zur Begründung führte das Gericht aus, dass Verfahren, nach denen nur weibliche Küken geboren werden, noch nicht praxisreif seien. Nach dem Tierschutzgesetz dürfen Wirbeltiere nur getötet bzw. ihnen Leiden zugefügt werden, wenn es einen vernünftigen Grund gibt. Die Aufzucht der männlichen Küken sei mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden. Die Massentötungen seien daher zur Versorgung der Bevölkerung mit Eiern und Fleisch notwendig.

Ein Fallvergleich
Nehmen wir einmal an, neben dem Brütereibetrieb befindet sich ein Karpfenteich. Dort wirft gelegentlich ein Angler seine Rute aus. Ab und zu landet er einen Fisch, hakt ihn ab, fotografiert ihn und setzt ihn, da nicht verletzt, behutsam in sein Element zurück.

Auch auf Fische ist das Tierschutzgesetz anwendbar, obwohl der Schutz des Fischwohls im Bereich der Angelfischerei ausreichend durch das Fischereirecht geregelt sein könnte. Wird der Karpfenangler nun angezeigt, so ist es wahrscheinlich, dass er wegen Verstoßes gegen die gleiche Bestimmung bestraft wird, die dem Münsteraner Urteil zugrunde liegt.

Ein Fehlurteil?
Ist das Urteil des Oberverwaltungsgerichts falsch? Das Gericht hatte auf der Basis des geltenden Gesetzes zu entscheiden. Bei rechtspositivistischer Betrachtung ist die Entscheidung nachvollziehbar und frei von offensichtlichen Rechtsfehlern. Der Wortlaut legt den in der Begründung gewählten Gedankengang nahe, jedenfalls wenn man Wirtschaftlichkeitsargumente in der Frage, ob ein vernünftiger Grund vorliegt, anerkennt. Letzteres ist in der Rechtsprechung zum Tierschutzrecht gängig.

Jährlich 48 Millionen sinnlos getötete sogenannte Eintagesküken sollen in Ordnung sein, ein am Leben gelassener Karpfen aber strafbar? Hätte der Angler den Karpfen getötet und zu Hause nach Zubereitung weggeworfen, wäre er unzweifelhaft straffrei geblieben.

Darin liegt ganz offenkundig ein erheblicher Wertungswiderspruch, der weniger den Münsteraner Richtern, sondern dem Gesetzgeber anzulasten ist.

Wie kommt es zu dieser Ungleichbehandlung des Anglers? Zunächst einmal stehen ihm als vernünftigen Grund von vornherein Wirtschaftlichkeitsargumente nicht zur Verfügung. Denn seine Angelei ist reines Hobby und darf nach dem Fischereirecht keinesfalls wirtschaftlich genutzt werden.

Zum anderen ist der im Tierschutzgesetz angelegte Schutzgedanke tierindividuell. Bereits die Leidens- z.B. Stresszufügung eines einzelnen Tieres eröffnet die Anwendbarkeit des Gesetzes und ruft den Amtsrichter auf den Plan. Ausweitung des Tatbestands bei gleichzeitiger Verringerung der Möglichkeiten der Rechtfertigung über den vernünftigen Grund verschärft die Rechtslage des nicht tötenden Anglers, während nebenan millionenfach lästige (weil in ihrer Aufzucht teure) Wirbeltiere gnaden- und sinnlos gekillt werden. Und dabei ist es gerade die Massenhaftigkeit des Tötens, in der der vernünftige Grund begründet liegt, denn nur weil männliche Küken aufzuziehen viel Geld kosten würde, nur deswegen dürfen sie nach der Rechtslogik des Oberverwaltungsgerichts getötet werden.

Die Reaktion der Politik
Der nordrhein-westfälische Landwirtschaftsminister hat deswegen den Bundesgesetzgeber aufgerufen, das Tierschutzrecht zu ändern und mit dem Tierschutz auch bei männlichen Küken ernst zu machen.

Das ist im Interesse der Küken zu begrüßen. Denn wenn es den Geflügelproduzenten nicht gelingt, die Geburt von männlichen Küken durch gentechnische Verfahren zu verhindern, dann sollten sie die Kosten für deren tierschutzkonforme Aufzucht als Nebenkosten der Produktion über den Preis ihrer Produkte (oder über Subventionen) erwirtschaften. Inwiefern sie dieses versucht haben, scheint das Gericht nicht geprüft zu haben, was man ihm in seiner Rechtsanwendung vorwerfen könnte. So aber stehen wirtschaftliche Argumente immer über anderen Rechtsgütern. Das erinnert fatal an die Anfangszeiten des Naturschutzes, der immer zurückstehen musste, wenn vermeintlich Arbeitsplätze gefährdet waren.

Reagiert der Gesetzgeber im Sinne des Landwirtschaftsministers, so wäre damit dem Angler voraussichtlich nicht geholfen. De lege lata erst recht nicht. Aber die politischen Weiterungen des Urteils, wenn es zu ihnen kommen sollte, böten aber Anlass, auch für die Angler mehr Rechtssicherheit bei der Anwendung des Tierschutzrechts zu schaffen.

Freibrief für Geflügelzüchter – Strafrecht für Angler?
In Anglerkreisen wird die Strafbarkeit des Zurücksetzens von Fischen unter der fälschlichen, zumindest irreführenden Überschrift catch & release seit vielen Jahren heftig diskutiert. Das Münsteraner Urteil dürfte weiteren Diskussionen weitere Nahrung geben. Sie müssen sich – zu Recht – gegenüber den Geflügelzüchtern benachteiligt fühlen. Seit Jahren droht ihnen für das Zurücksetzen (also: Amlebenlassen!) eines einzelnen (!) Fisches ohne Verwertungsabsicht bereits Verurteilung, unabhängig davon, ob sie gar keinen Fisch entnehmen wollen (sogen. Trophäenangeln) oder ob sie selektiv den Fisch entnehmen wollen, dessen Entnahme biotopgerecht ist und zugleich ihrem Verwertungsziel entspricht (sogen. Selektives Angeln, catch & decide). Sie müssen das Urteil aus Münster als grob ungerecht und unverhältnismäßig empfinden.

Tierschutzrecht versus Tierethik?
Bei einer Neuregelung, wenn es dazu kommt. wird es darum gehen, ob das Tierschutzrecht in Deutschland den Anforderungen einer zeitgemäßen und mit dem Grundgesetz zu vereinbarenden Tierethik entspricht.

Das ist ganz offenkundig derzeit nicht der Fall. Das zeigt auch ein weiteres Beispiel, nämlich die Behandlung des Beifangs in der kommerziellen Meeres- und Küstenfischerei. Wirtschaftlich nicht verwertbare Fischarten, die in der Netzfischerei immer mitgefangen werden, werden sinnlos getötet, weil ihr schonendes Zurücksetzen angeblich betriebswirtschaftlich nicht dargestellt werden kann. Sowohl der Beifang, als auch die Massentötung männlicher Küken zeigen, dass das Tierschutzrecht gerade bei massiven Verletzungen individueller Tierrechte (trotz seines individualistischen Ansatzes) vor ökonomischen Zweckmäßigkeitserwägungen versagt, während es gleichzeitig bei geringfügigen Beeinträchtigungen drakonisch abstraft. Man muss sich bei dieser Fallgegenüberstellung klarmachen, dass der Angler eben nicht wegen einer Tiertötung bestraft wird, sondern wegen des Angelns. Seine Strafbarkeit wird nicht damit begründet, dass er ein Tier tötet, sondern damit, dass Haken, Landen, Abhaken und Zurücksetzen dem Fisch Stress und damit Leiden zufüge, für das es, wenn er den gefangen Fisch nicht essen will, keinen vernünftigen Grund gebe. Erwiesenermaßen führen diese Beeinträchtigungen beim Fisch jedenfalls bei fachgerechter Ausübung der Angelei regelmäßig nicht zu bleibenden Schäden. Der Eingriff kann also getrost als geringfügig eingestuft werden. Zugespitzt könnte man sagen, dass das Tierschutzgesetz die kleinen „Tiertraktierer“ bestraft, die großen aber systematisch laufen lässt, gerade weil sie Tiermassen vernichten. Dass die Angler insgesamt erhebliche (ehrenamtliche) Beiträge zum Natur-, Gewässer- und Biotopschutz erbringen, bleibt bei der individualistischen Betrachtungsweise anders als Wirtschaftlichkeitserwägungen von profitorientierten Unternehmen unberücksichtigt.

Gute fachliche Praxis als Lösung?
Agrarrechtler könnten einwenden, dass Eingriffe, die im Rahmen einer fachgerecht ausgeübten, auf dem Stand der Forschung stehenden Fachpraxis erfolgen, grundsätzlich nicht dem Tierschutzrecht widersprechen. Wenn die Kükenmassentötung für die Geflügel- und Eierproduktion alternativlos und fachgerecht wäre, dann käme man zu einem ähnlichen Ergebnis wie das Oberverwaltungsgericht.

Dieses Rechtsinstitut der guten fachlichen Praxis besteht bereits für die Landwirtschaft. Aber warum sollte es dann nicht auch für die Jagd und die Angelei gelten, Betätigungen, zu denen man ebenfalls erst nach Bestehen einer Fachprüfung Zugang hat?

Mit diesem Argument ließe sich die Massentötung, wenn man denn will, eher begründen, jedenfalls wenn es für alle qualifizierten „Tiernutzergruppen“, wie es im Fachjargon heißt, gelten würde. Dann wäre der Wertungswiderspruch des Fallvergleichs jedenfalls aufgelöst, denn der Angler bliebe straffrei, wenn das Zurücksetzen der guten fachlichen Praxis entspräche.

Verzerrte Schutzwirkung – auf dem „industriellen Auge“ blind?
Die gängige Rechtsfertigung durch ökonomische Argumente (zu denen letztlich auch die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln gehört), relativiert den Schutz des Tierindividuums auf Fälle, in denen der Eingriff durch Amateure – unabhängig von ihrer Fachkunde (!) – erfolgt. Zu dem unaufgelösten tierethischen Konflikt treten so Probleme der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung – auf die das Oberverwaltungsgericht natürlich nicht eingeht.

Man kann das Münsteraner Urteil nicht als Ausreißer abtun, auch wenn es noch nicht rechtskräftig geworden ist. Es liegt in der fatalen Konsequenz des geltenden Tierschutzrechts, welches sich in einem sowohl unter rechtlichen, als auch ethischen Gesichtspunkten betrachtet in einem beklagenswerten Zustand befindet.

Die Probleme der Massentiertötung, sei es von männlichen Küken, des Beifangs der kommerziellen Fischerei oder in anderen Bereichen entstehen allein durch die Praxis der industriellen Massentierproduktion; und diese Probleme sind gravierend. Sie bedürfen einer Lösung, zu der ausgerechnet das deutsche Tierschutzrecht keinen Beitrag leistet.

Deswegen ist der Gesetzgeber aufgefordert zu handeln. Bei der längst überfälligen Novellierung des Tierschutzgesetzes sollte er seinen Horizont jedoch nicht auf den vorliegenden Einzelfall verengen. Er sollte vielmehr das gesamte Schutzspektrum des Gesetzes betrachten, d.h. sowohl den Schutz gegenüber Eingriffen von 1.) Einzelpersonen, als auch von 2.) fachlich geschulten (und rechtlich zugelassenen) nichtprofessionellen und 3.) kommerziellen Tiernutzern betrachten. Dabei muss die Schutzwirkung entweder auf den Kreis der Einzelpersonen beschränkt werden (z.B. durch Einführung der guten fachlichen Praxis für alle zugelassenen Nutzergruppen) oder aber in der Schutzwirkung im Vergleich der Nutzergruppen zueinander verhältnismäßig ausgestaltet werden. Es ist mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vereinbar, das Angeln ohne Verwertungsabsicht unter Strafandrohung zu stellen, die vollendete Massentiertötung aus ökonomischer Bequemlichkeit jedoch verantwortungsfrei zu stellen. Wer den größeren Schaden (hier: am Schutzgut Tierrechte) anrichtet, muss stärker sanktioniert werden als derjenige, dessen Eingriff nur minimal ist.

Kostenminimierung als wichtiger Grund für die Verletzung der Tierrechte?
Der Fallvergleich zeigt auch, wie untauglich die gesetzliche Konstruktion ist, durch die ein Tierschutzverstoß entfällt, wenn ein vernünftiger Grund vorliegt (§ 1 Satz 2, § 17 Tierschutzgesetz). Der Rechtfertigungsgrund besteht in einem höchst unkonkret formulierten unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung leicht zu Rechtsunsicherheiten führen muss, aber eben auch zu den aufgezeigten Wertungswidersprüchen.

Längst hat das Umwelt- und Naturschutzrecht den Vorrang der Ökonomie abgeschüttelt, also jenes Prinzip, nachdem die Natur nur geschützt wurde, wenn dadurch keine Arbeitsplätze oder Wirtschaftsunternehmen gefährdet wurden. Im Tierschutzrecht aber feiert, wie nicht nur das Urteil des Münsteraner Oberverwaltungsgericht zeigt, der Vorrang der Ökonomie vor der Ökologie weiterhin unzeitgemäße Urstände. Wer mehr Tierschutz möchte, und das ist kein geringer Teil unserer Bevölkerung, der kommt nicht umhin, alle Tiernutzergruppen in die Verpflichtungen gegenüber dem Tierschutz einzubeziehen, auch wenn dieses hier und da zu höheren Produktionskosten führt, die am Ende ohnehin der Verbraucher, also der Souverän trägt. Hat das Gericht geprüft, ob der Verbraucher nicht bereit wäre, die Kosten der Hahnaufzucht im Rahmen einer ökologischen Geflügelzucht durch höhere Verbraucherpreise bei Eiern und Geflügelprodukte zu übernehmen? Stattdessen bestätigt das Urteil den bestehenden Rechtszustand, nachdem ein wirtschaftlich nicht verwertbares Tierleben keinen Wert hat und keines Schutzes bedarf. Es ist zu bezweifeln, ob dieses mit dem grundgesetzlich verankerten Staatsziel des Tierschutzes vereinbar ist. Jenseits des Verfassungsrechts aber ist es tierethisch unerträglich, jemanden, der ein Wildtier leben lässt, dafür zu bestrafen, während derjenige, der wissentlich Massen von männlichen Küken produziert, um diese von vornherein geplant massenhaft zu töten, keine Sanktionen zu befürchten hat. Die Schieflage, die hier entstanden ist, sollte schnellstens beseitigt werden.

Wo wird der organisierte Natur- und Tierschutz stehen?
Man darf gespannt auf die Reaktionen der Lobbygruppen sein. Zu hoffen ist, dass diese differenziert ausfallen.

Reine Tierschutzorganisationen dürften die Sanktionierbarkeit der Geflügelzüchter fordern, ohne von den Anglern das Damoklesschwert der Verurteilung zu nehmen.

Ernsthafte ökologische Verbände, so ist zumindest zu hoffen, sollten Seite an Seite mit allen Nutzerverbänden für eine ausgewogene Ausrichtung des Tierschutzes eintreten, die jenseits eines Freibriefs für kommerzielle Tiernutzer dort fokussiert, wo die stärksten Eingriffe in Tierrechte erfolgen.

Die Anglerverbände sollten deutlich machen, dass Amlebenlassen nicht stärker bestraft werden darf als Massentötung, die auch durch Profitstreben nicht zu rechtfertigen ist.

 

Dr. Thomas Günther, Berlin

Quelle: https://thomasguenther.wordpress.com/2016/05/23/von-kueken-und-fischen/

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