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SPIEGEL ONLINE: Haben Fische kein Schmerzempfinden?

Arlinghaus: Wahrscheinlich nicht. Zumindest keines, das dem entspricht, was wir Menschen unter dem Begriff Schmerz verstehen.

SPIEGEL ONLINE: Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung in Ihrer Überblicksstudie?

Arlinghaus: Fischen fehlen die für das bewusste Schmerzempfinden nötigen Hirnstrukturen, der sogenannte Neokortex. Außerdem sind die für das tiefe Schmerzerleben mitverantwortlichen Schadenszeptoren ("C-Nozizeptoren") bei allen Knochenfischen wie Forellen und Karpfen höchst selten, und sie fehlen bei Knorpelfischen wie Haien und Rochen vollständig. Auch zeigen Fische in Versuchen keine oder nur geringfügige Reaktionen auf Einwirkungen, die beim Menschen höchst schmerzhaft wären, und die meisten Schmerzmittel zeigen bei "menschüblichen" Dosen keine W

SPIEGEL ONLINE: Eine 20-köpfige Expertenkommission der EU-Kommission kam vor kurzem zum entgegengesetzten Fazit: Es gebe Hinweise auf neuronale Bausteine für das Schmerzempfinden bei Fischen. Fischhirne sind dabei natürlich anders aufgebaut als Menschenhirne, aber sie lernen aus Schmerzen, ähnlich wie es höhere Wirbeltiere auch tun.

Arlinghaus: Hier wird schlicht die Ursache mit der Wirkung verwechselt. Man muss zwischen bewusstem Schmerzempfinden - ein subjektives Gefühlserlebnis - und unbewusst verarbeiteter Nozizeption ohne Schmerzerleben unterscheiden. Knochenfische wie Forellen haben einfache A-Nozizeptoren und können damit thermische und andere Schädigungen der Haut wahrnehmen. Die Reize werden aber höchstwahrscheinlich unbewusst ohne Schmerzerlebnis verarbeitet, führen aber auch zu komplexen Verhaltensreaktionen. Daraus können Fische auch lernen. Mit anderen Worten: Hochkomplexe kognitive Leistungen sind möglich, ohne dass die Fische Schmerzen empfunden haben müssen. Die Nozizeption, die nicht mit dem psychischen Schmerzerleben zu verwechseln ist, macht es möglich.

SPIEGEL ONLINE: Dies Argument wird "No Brain, No Pain" genannt (kein Hirn, kein Schmerz). Aber ist es nicht anmaßend, das Leiden anderer Tiere nur daran zu messen, wie menschenähnlich ihr Nervensystem aufgebaut ist? "Es geht ja nicht darum, ob sich der Schmerz für den Fisch gleich anfühlt wie für uns. Der Fischschmerz ist vermutlich sehr anders, aber das heißt doch eben noch lange nicht, dass er nicht wehtut", wendet der Philosoph Markus Wild im Rahmen einer Schweizer Ethikkommission ein.

Arlinghaus: Wenn wir zunächst die ethische Perspektive außen vor lassen, ist es sicher nicht anmaßend, auf Basis naturwissenschaftlicher Argumente die Frage zu klären, ob ein psychisches Schmerzempfinden mit der aktuellen Faktenlage in den Einklang zu bringen ist oder nicht. Philosophen mögen andere Formen von Schmerz konstruieren oder die Schmerzdefinition verwässern, dadurch wird die Beweisführung nicht einfacher und die Faktenlage nicht besser. Die Realität ist: Wir können Schmerz nicht direkt messen, und die indirekte Beweisführung stützt aus unsere Sicht die Schmerzhypothese nicht.

SPIEGEL ONLINE: Das bedeutet?

Arlinghaus: Wir sollen ehrlich zu uns sein: Wir wissen gegenwärtig nicht, wie es im Gefühlsleben der Fische aussieht, weil wir Menschen sind und keine Fische. Aber was wir wissen: Fische empfinden wahrscheinlich keinen menschenähnlichen Schmerz oder sie reagieren völlig anders auf Reize, die für die meisten Menschen höchst schmerzhaft wären. Die Schmerzempfindsamkeit in Frage zu stellen, heißt im Umkehrschluss aber nicht, mit Fischen alles zu machen, was gerade in den Sinn kommt.

SPIEGEL ONLINE: Aber Fische zeigen Stressreaktionen, die lassen sich messen.

Arlinghaus: Genau das ist aus wissenschaftlicher Perspektive der richtige Ansatz. Es ist unstrittig, dass Fische auf Einwirkungen und Verletzungen mit einer Stressreaktion reagieren, man kann also davon ausgehen, dass bei wiederholten Stresseinwirkungen ihr Wohlergeben beeinträchtigt ist. Messbar wird das an Einschränkungen des Gesundheitszustands. Anhand objektiver Kriterien wie Stresshormonanstieg oder reduziertem Wachstum können dann auch wissenschaftlich begründete Handlungsweisen identifiziert werden, die den Stress bei Fischen minimieren und damit ihr Wohlergeben maximieren. Impragmatischen Tierschutz gilt der Grundsatz: Gebe Tieren, was sie benötigen und das, was sie wollen.

SPIEGEL ONLINE: Sie sind Deutschlands erster und einziger "Angelprofessor" und sind auch privat ein passionierter Angler. Kann es sein, dass das Ihren Blick auf die Leidensfähigkeit von Fischen beeinflusst?

Arlinghaus: Natürlich beeinflusst mein Interessenshintergrund die Wahl meiner Forschungsgegenstände. Gleichsam ist es aber meine Aufgabe als Wissenschaftler, so objektiv wie möglich zu bleiben. Wenn man sich unsere jüngste Arbeit zu diesem Thema anschaut, dann haben wir sachlich den Stand des Wissens analysiert. In der genannten Arbeit wird auch kein Lobbyismus betrieben. Auch werden keine normativen Aussagen getätigt, wir sagen also nicht, was richtig oder falsch im Umgang mit Fischen ist. Wir analysieren lediglich, ob die vorliegenden Befunde die Schmerzhypothese stützen oder nicht, und kommen zu dem Ergebnis, dass sie es nicht tun, wenn man Schmerz als das definiert, was wir Menschen unter dem Begriff verstehen.

SPIEGEL ONLINE: Aber Tierschutz hat nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine ethische Dimension.

Arlinghaus: Selbstverständlich. Trotzdem muss Tierschutz auf einer soliden wissenschaftlichen Basis aufbauen, gerade dann, wenn naturwissenschaftliche Fakten wie die Fähigkeit von Fischen zur Schmerzfähigkeit auch nach Paragraf 17 Tierschutzgesetz die Strafbarkeit von tierschutzwidrigen Handlungen mitbestimmen. Ich vertrete die Auffassung, dass die Schutzbedürftigkeit von Fischen von ihrer Schmerzempfindsamkeit abgekoppelt ist. Dieser sogenannte pragmatische Fischwohlansatz ist übrigens umfassender als der schmerzzentrierte Ansatz, weil er dazu aufruft, auch Schäden und Stresseinwirkungen, die nichts mit Schmerz zu tun haben, wann immer möglich zu minimieren.

SPIEGEL ONLINE: Finden Sie, dass Fischen generell zulässig ist?

Arlinghaus: Vielleicht unterscheidet sich mein Wertesystem von anderen Autoren auf dem Gebiet des Fischwohls dahingehend, dass mir sowohl das menschliche wie das fischige Wohl am Herzen liegt. Ich halte die meisten menschlichen Nutzungen von Fischen für prinzipiell legitim, solange Stress und Schäden minimiert werden. Mich hat das Gefühl beschlichen, dass viele öffentlich sichtbaren Verfechter der Schmerzhypothese im Deckmantel der Wissenschaftlichkeit im Grunde die Nutzung von Fischen durch den Menschen ablehnen und nach Argumenten streben, die Interaktion von Mensch und Fisch möglich grausam erscheinen zu lassen. Hier geht es um reine Rhetorik und um Macht im sich daran anschließenden politischen Prozess. Auf der versteckten Agenda stehen häufig eine vegane Lebensweise und ein Verbot oder eine starke Einschränkung der Fischerei.

Quelle: Spiegel Online